Gesundheitskarte für Asylbewerber auch in Bonn?

Von | 31. August 2015

Die Gesundheitskarte, die den Flüchtlingen den selbständigen Arztbesuch ermöglicht, wird vielerorts diskutiert. Die Chipkarte der gesetzlichen Krankenkasse erhalten bisher nur Anerkannte,nicht jedoch Asylbewerber während der laufenden Asylverfahren. Nachdem NRW alserstes Flächenland in der vergangenen Woche die gesetzliche Grundlage dafür geschaffenhat, in Städten und Kommunen die Asylbewerber mit einer Chipkarte auszustatten,ist nun im Rat beantragt, dass sich auch Bonn diesem Modell anschließen solle.

Die Gesundheitskarte, die den Flüchtlingen den selbständigen Arztbesuch ermöglicht, wird vielerorts diskutiert. Die Chipkarte der gesetzlichen Krankenkasse erhalten bisher nur Anerkannte, nicht jedoch Asylbewerber während der laufenden Asylverfahren. Nachdem NRW als erstes Flächenland in der vergangenen Woche die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen hat, in Städten und Kommunen die Asylbewerber mit einer Chipkarte auszustatten, ist nun im Rat beantragt, dass sich auch Bonn diesem Modell anschließen solle. Immerhin würde Betroffenen der Umweg über das mit Arbeit hoch belastete Sozialamt und der Antrag auf einen Behandlungsschein erspart werden.

Die gesundheitliche Versorgung sowie die Verfahrensabläufe und Finanzierung werfen indes Fragen und Probleme auf. Und diese Probleme verschärfen sich, wenn die Zahl der zu versorgenden Asylantragsteller unerwartet drastisch zunimmt, so wie es derzeit der Fall ist. Die Versorgung muss adäquat sein, die Verwaltung effizient möglich und die Finanzierung tragbar.

10.800 Asylsuchende in NRW haben im vergangenen Jahr laut dem Statistischen Landesamt NRW besondere Unterstützungen erhalten, etwa bei Krankheit, Schwangerschaft oder Geburt. Das Innenministerium prognostiziert 180.000 neue Asylanträge NRW für 2015. Das bedeutet also auch eine erhebliche Mehrbelastung für Verwaltungsstellen, die Krankenscheine ausgeben. Bisher behandeln die Ärzte solche Patienten außerhalb ihres von den Krankenkassen vorgegebenen, an Durchschnitten orientierten Kostenrahmens.

Nach Einführung einer Krankenkassenkarte auch für Asylbewerber steigt die Zahl der Behandlungen und der Kostenrahmen muss ausgedehnt werden. Dafür sollen die Krankenkassen vom Staat, genauer gesagt von der Kommune, einen Krankenkassenbeitrag von 210 EUR pro Asylbewerber erhalten. Dieser Beitrag für die Asylsuchenden ist aber vergleichsweise unterdurchschnittlich. Wenn er nicht kostendeckend ist, müssen die gesetzlich versicherten Arbeitnehmer und deren Betriebe insgesamt mit höheren Beiträgen rechnen. Zuschüsse des Bundesfinanzministers zur Entlastung der Kassen würden nötig.

Gehäuft teure Risikogruppen sind also ein zusätzliches Kreuz für die gesetzlich Versicherten und deren Arbeitgeber – dagegen nicht etwa für die Privaten und die Beihilfeberechtigten.

Mit welchen Krankheitskosten hat man bei den Asylsuchenden zu rechnen? Aus Bürgerkriegen, Tropen und schlechten hygienischen Verhältnissen Geflüchtete erreichen Deutschland oft in erheblich reduziertem Gesundheitszustand. Viele hatten in ihrer Heimat und unterwegs unvergleichliche psychische und physische Belastungen zu ertragen. In ihren Herkunftsländern sind bestimmte Krankheiten signifikant häufiger vertreten als bei uns. Das gilt z.B. für Hepatitis und AIDS. Zum Vergleich: In Afrika sind 5 v.H. der Bevölkerung HIV-positiv erkrankt. Das Robert-Koch-Institut verzeichnet 2014 bundesweit bereits einen Anstieg um 7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Wenn in unserem System für hundert Asylbewerber 20.000 EUR im Monat von der Krankenkasse zur Verfügung stehen, dann kann dieser Betrag von ganz wenigen Personen mit speziellen Krankheiten allein für die Medikation oder für stationäre Behandlung verbraucht sein.

Die Medikamentenkosten sind für die Ärzte mit Regress belegt. Werden die Hochrisikopatienten, Flüchtlinge oder Einheimische, unter diesen Umständen die adäquate Behandlung erfahren? Zuweilen läuft die Terminvergabe für den Arztbesuch nicht so glatt; das könnte zu längeren Facharzt-Wartezeiten für die Flüchtlinge führen, die unter der Ägide der Sozialämter bisher zügig versorgt werden konnten.

Hinzu kommen weiterhin Kosten für Notfallbehandlungen, die durch das Sozialamt abgefedert werden müssen, weil bestimmte Vorsorge- und Reha-Maßnahmen auch künftig nicht zum Leistungskatalog der Kassen gehören.

Entstehen durch die Gesundheitskarte weitere Anreize zur Erlangung des Asylbewerber-status? Die mangelnde Gesundheitsversorgung in den Balkanstaaten beispielsweise erhöht das Risiko, solchem Anreiz zu folgen. Und wie kann sich die ausgebende Krankenkasse durch sofortige Sperrungen gegen die Weitergabe von Karten und ähnlichem Missbrauch schützen?

Die Verwaltungs- und die Sozialgerichte ächzen schon heute unter der Zahl der unerledigten Klagen gegen negative Asylentscheidungen. Die Karte dürfte für eine wachsende Zahl von negativ Beschiedenen ein erheblicher Anreiz zur Verlängerung des Aufenthalts mittels Klage sein zur Erlangung eines verlängerten Anspruchs auf Gleichbehandlung mit den deutschen gesetzlich Versicherten.

Es versteht sich von selbst, dass solche Anreizsetzung mit dem ursprünglichen und eigentlichen Grund der Asylgewährung nicht zu vereinbaren ist – auch unter Berücksichtigung humanitärer Gesichtspunkte.

Die Situation für die Bürgerkriegsflüchtlinge hingegen mit höchster Anerkennungsquote (z.B. aus Syrien) dürfte sich durch die neue Praxis einer erheblich schnelleren Anerkennung verbessern, was sehr zu begrüßen wäre. Die Karte dürfte dann in zumutbar schneller Zeit dem anerkannten Flüchtling und seiner Familie zur Verfügung stehen.

Die bisherige Handhabung der kontrollierten Versorgung mit großzügiger Einzelregelung hat sich durchaus bewährt. In Bonn ist der Weg über das Sozialamt gut eingespielt. Die Bedürftigen erhalten im Allgemeinen umstandslos ihren Schein.

Angesichts vieler Unwägbarkeiten sollte die bestehende und funktionierende Regelung nicht vorschnell aufgegeben werden. Die Erfahrungen der elf Musterstädte in NRW, die ihre Beteiligung am neuen System signalisiert haben, sollten erst ausgewertet werden. Ob es der Stadt Bonn in Zukunft noch gelingen wird, die Gesundheitsversorgung für die drastisch wachsende Zahl an Asylbewerbern zu organisieren? Das ist auch eine Frage guten Managements und geeigneter Fachkräfte – Kosten entstehen so oder so. Aber die bequemste Lösung ist meist nicht die beste.