Warum auch Bonn Regierungssitz bleiben sollte

Von | 6. Juni 2016

Bonns historische Verdienste dürfen nicht vergessen werden.

Bundesbauministerin Hendricks wird in ihrer Eigenschaft als Beauftragte der Bundesregierung für den Berlin-Umzug und den Bonn-Ausgleich im Herbst einen Sachstandsbericht zur Arbeitsteilung zwischen der Bundeshauptstadt Berlin und der Bundesstadt Bonn vorlegen.

Bonns historische Verdienste dürfen nicht vergessen werden.

Bundesbauministerin Hendricks wird in ihrer Eigenschaft als Beauftragte der Bundesregierung für den Berlin-Umzug und den Bonn-Ausgleich im Herbst einen Sachstandsbericht zur Arbeitsteilung zwischen der Bundeshauptstadt Berlin und der Bundesstadt Bonn vorlegen. Wird man dann erfahren, dass der Umzug nicht nur abgeschlossen, sondern übererfüllt ist und dass die vom Bonn-Berlin-Gesetz gezogenen Linien zum Vorteil Berlins und zu Lasten Bonns mehrfach überschritten sind? Und dass Bonn daher einen höheren Ausgleich benötige? Oder dass die Kosten für Reisetätigkeit unerheblich sind im Vergleich zu den Umzugs- und Neubaukosten?

Die Berlin-Befürworter mauserten sich inzwischen längst zu Befürwortern eines Komplett-Umzuges und sie scheinen in der Regierung zu dominieren. Alle Politiker scheinen sich in Berlin wohl zu fühlen, die Stadt als angemessenen Rahmen für ihr Wirken anzusehen – und das kann man auch verstehen, wenn man diese lebendige Metropole besucht. Als Argumente für einen Komplett-Umzug können dessen Befürworter im Wesentlichen nur zwei anführen. Das ist zum ersten die erforderliche Reisetätigkeit. Doch die Kosten hierfür sind vernachlässigbar und der Zeitaufwand schmälert die Effizienz der Regierungstätigkeit nicht erkennbar.

Zum zweiten heißt es, dass Bonn seit dem Regierungsumzug wachse, blühe und gedeihe. In der Tat erlebte Bonn nicht nur eine Zunahme an Arbeitsplätzen, sondern erhält auch weiterhin gute Prognosen von Forschungsinstituten. Die Stadtoberen, beruflich zur Ausstrahlung von Optimismus verpflichtet, betonen auch gern ihre erfolgreiche Politik, die zu der positiven Entwicklung beigetragen habe.

Doch kritische Sicht ist geboten. In der Vergangenheit hat Bonn tatsächlich mit der Entwicklung der Arbeitsplätze Glück gehabt. Die vom Bund und Land geförderten Ansiedlungen von Bundesbehörden, internationalen Organisationen und gewichtigen ehemaligen Bundesunternehmen waren erfolgreich. Das ist anzuerkennen.

Das ist aber kein Selbstläufer. Den Dax-Schwergewichten Post und Telekom geht es zurzeit gut. Es ging ihnen aber auch schon schlechter. Ihre Performance ist stark von den Regulierungsbehörden und deren Politik abhängig. Das ist strukturell ein Nachteil. Die Postbank ist noch Tochter der Deutschen Bank, die sie gerne verkaufen will, aber bisher keinen Käufer zu ihren Preisvorstellungen fand. Auch darin steckt ein Unsicherheitsfaktor.

Daneben hat Bonn reale Risiken für Arbeitsplatz-Abwanderungen, die jetzt schon abzusehen sind. Die Bonner Traditionsversicherung Deutscher Herold, heute Teil der Zurich, wird nach Köln gehen. Das weltbekannte Bonner Familienunternehmen Haribo (abgeleitet von Hans Riegel Bonn) verlegt seinen Sitz in den Kreis Ahrweiler. Weitere mittelständische Unternehmen folgen. Sie finden im Umland wesentlich bessere Verkehrsanbindungen, günstige Grundstücke und dazu einen niedrigeren Gewerbesteuersatz, die Bonn nicht bieten kann. Denn der Ansiedlung von Arbeitsplätzen insbesondere im Bereich Bundesviertel folgte in Bonn kein Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Seitdem früher der Reutertunnel blockiert wurde, der heute dringend nötig wäre, streitet man über eine Südtangente, die viele Bonner ÖPNV- Freunde und Landschaftsschützer ablehnen. Da fehlt es in Bonn leider sowohl an strategischem Denken als auch an Durchsetzungskraft.

Die Schwäche der Bonner Wirtschaftslage zeigt sich vor allem auch an einem negativen Trend bei der Zahl der Arbeitslosen, insbesondere der langfristig Beschäftigungslosen. War Bonn hierbei früher überdurchschnittlich gut, so sind wir seit Jahren auf NRW-Niveau, deutlich schlechter als der SU-Kreis. Der angekündigte Abzug von Unternehmen wird die Lage weiter belasten. Hohe Soziallasten machen unseren Haushalt stark defizitär, was zu hohen Gewerbe- und Grundsteuern führt, die wiederum abschrecken.

Die Aussichten Bonns sind daher keineswegs so rosig wie Prognostiker, die für alle deutschen Städte Vergangenheitswerte in die Zukunft extrapolieren, ohne sich die Probleme im Einzelnen anzusehen, glauben machen. Im Gegenteil: Unsere Situation ist kritisch!

Die in Bonn verblieben Ministerien sind hier von großer Bedeutung. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) ist großer Auftraggeber für die bundesdeutsche GIZ (Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit), die die Entwicklungshilfe Deutschlands in der Welt zu einem großen Teil betreut und ausführt. Die GIZ legt ihre Hauptverwaltung nach Bonn, weil hier das BMZ seinen Sitz hat. Ähnliches kann man für andere Ministerien sagen, z.B. auch für die Ressorts Umwelt und Forschung. Auch die UNO/Unesco-Sekretariate haben eine große Affinität zu BMU, BMZ und GIZ, die immerhin viel deutsches Geld in der Welt ausgeben.

Eine Verlegung der in Bonn verbliebenen ersten Dienstsitze nach Berlin hätte langfristig unkalkulierbare Folgen für den Verbleib anderer Institutionen in Bonn.

Damit ist das Argument entkräftet, Ministerien könnten abgezogen werden, weil es Bonn sowieso gut gehe. Allerdings können und sollten Bonner regionale Wirtschaftsprobleme – oder auch Chancen – nicht entscheidend in der Frage Bonn und Berlin sein.

Wichtiger als wirtschaftliche Betrachtungen sind politisch-historische Argumente. Diese sollten ausschlaggebend für die Frage eines einheitlichen Regierungssitzes in Berlin oder eines geteilten Regierungssitzes in der Bundeshauptstadt Berlin und der Bundesstadt Bonn sein. Und gerade sie sprechen für die Beibehaltung von Ministerien mit ersten Sitz in Bonn.

Die Hauptstadt-Tradition, auf die sich die Berlin-Befürworter berufen, ist für eine Hauptstadt ungewöhnlich kurz. Kaum 75 Jahre, von 1871 bis 1945, war Berlin Hauptstadt des Deutschen Reiches. Dann ging dieses unter. Auch die preußische Hauptstadt-Funktion war im europäischen Vergleich kurz. Überwiegend aber war Politik aus Berlin expansiv ausgerichtet, meist militärisch durchgesetzt: in den Bismarck-Kriegen bis es zum Untergang des Deutschen Kaiserreiches 1918, und 1933 nach der Machtergreifung durch die nationalsozialistische Diktatur bis 1945. Die Tradition der alten Berliner Politik will gewiss kein deutscher Politiker fortsetzen, obwohl manche Europäer uns heute polemisch und ganz zu Unrecht dessen wieder beschuldigen.

Bonn hingegen ist nun einmal untrennbar verbunden mit der Schaffung des ersten stabilen, freiheitlichen, demokratischen, sozialen Rechtsstaates in Deutschland! Bescheiden und glaubwürdig gewann deutsche Politik, wie sie in Bonn gemacht wurde, weltweit an Ansehen.

Außerdem ist daran zu erinnern, dass der Bevölkerungs- und Wirtschaftsschwerpunkt Deutschlands unverändert in den Gebieten entlang des Rheines vom Ruhrgebiet über Düsseldorf und Köln bis Frankfurt, Mannheim, Karlsruhe liegt. Berlin liegt eben nicht mehr wie früher im Zentrum des Deutschen Reiches, sondern am östlichen Rand der Bundesrepublik Deutschland. Den Bevölkerungsschwerpunkt im Westen sollte man angemessen berücksichtigt lassen.

Der für Deutschland und alle seine Nachbarn gute Start der bundesdeutschen Politik in Bonn verdient politisch durch den geteilten Regierungssitz dauerhaft in Erinnerung gehalten und weitergeführt zu werden. Die neue Berliner Politik täte gut daran, Bonner Bescheidenheit fortzusetzen, auf weitere expansive Ansprüche zu verzichten und für Glaubwürdigkeit, auch im Hinblick auf das Bonn-Berlin-Gesetz, zu sorgen.

Hans Friedrich Rosendahl